Ich habe noch immer einen gewissen Hunger

Interview with Beobachter

Kochen ist vor allem Leidenschaft. Und die Kunst das Richtige zu tun, sagt Spitzenkoch Max A. Hauser. Der 65- jährige verrät das grosse Geheimnis des Geniessens – und warum eine krumme Gurke ein Luxus ist. – Interview im Beobachter (Walter Aeschimann)

Biographie
Max A. Hauser geboren 1947 zählt zu den besten eigenständigsten Küchenchefs der Schweiz und in Asien. Als einer von vielen Chefs brachte er die gastronomischen Welten des Fernen Ostens und des Westens zusammen. Nach Absolvierung der Kochlehre im Mövenpick 3 Königshaus in Zürich war Hauser in diversen renomierten Häusern in der Schweiz (Hotel du Rhone Genf, Dolder Grand Hotel Zürich, Grand Hotel unf Kurhaus Tarasp. Badrutts Palace Hotel St.Moritz), dann Vancouver / Kanada sowie verschiedene Neueröffnungen mit Hilton und Sheraton im Fernen Osten (Japan, Singapur, Hongkong, Malaysia, Indien, Bangkok, Seoul,Philippinen Kapstadt ( Siehe beiliegende Zusammenfassung)
Retour in der Schweiz im 1982 – Neueröffnung des Hotels Walliserhof / Ferienart in Saas Fee, dann 9 Jahre mit der Neueröffnung der Hotelfachschule Cäsar Ritz In Bouveret VS und anschliesendund bis zu seiner Pension in der Fachhochschule ECOLE HOTELIERE DE LAUSANNE tätig als Profeseur des Arts Culinaires et Technologie.

Beobachter: Herr Hauser, wie viele Spitzenköche zelebrieren wie Sie das Essen als „Kunst des Wohlbefindens“. Was hat eigentlich Essen mit wohlbefinden zu tun?
Max A. Hauser: Ich habe längere Zeit in Asien gelebt, in Honkong, Singapur, Indonesien und Philippinen, Malysia, etc. Vor allem in Hongkong habe ich die Vorliebe und die Affinität zur asiatischenLebensweise nie verloren. Dort hat man eine ganz andere Einstellung zum Essen als bei uns. Der Chinese gibt jedem Lebensmittel ein Attribut; wärmend, heilend, beruhigend. Das hat mich geprägt. Ich glaube, dass man mit gutem Essen sein Wohlbefinden sehr gut steuern kann.

Wie definieren Sie gutes Essen?
Gutes Essen hat nichts mit Luxus zu tun und auch nichts mit dem Preis, sondern mit der Qualität des Produkts. Ich bin alles andere als ein „ Chörndlipicker“. Trotzdem ist es mir wichtig, dass die Produkte, die ich esse, so natürlich, so gut und so frisch wie nur möglich sind. Das ist heute nicht mehr selstverständlich. Viele Lebensmittel werden auf sehr und bedenkliche Weise produziert.

Wie meinen Sie das?
Wenn Sie früher Äpfel gekauft haben, die einen kleinen Schorf hatten, hatte niemand etwas dagegen. Man schnitt einfach den Schorf mit einem Messer weg – denn der Rest des Apfels war perfekt: er hielt viel länger, war in der Konsistenz ganz anders, auch in seiner Vitaminhaltigkeit. Heute werden viele Lebensmittel um der optischen Perfektion willen hochgezüchtet und zum Teil genetisch manipuliert, damit sie ins Auge stechen. Eine krumme Gurke kann man heute fast nicht mehr verkaufen.

Ist eine krumme Gurke für Sie ein Luxus?
Durchaus. Luxus fängt bei mir dort an, wo ich Zugang zu natürlichen, vollwertigen Produkten habe. Hierzulande sind viele Typen von Mehl verfügbar, die hoch raffiniert sind, aber keinen Gehalt mehr haben. Ich habe lieber einfaches Bauernmehl, das nicht schneeweiss ist, dafür aber Gehalt hat.

Kann man die Kunst, beim Essen Glück zu empfinden, erlernen?
Oh ja! Aber man muss es zulassen und man muss es wollen. Es ist erschreckend, zu sehen, wie viele Leute sich um gutes Essen foutieren. Ich habe Mitleid mit solchen Menschen, weil sie so viel verpassen. Zum Glück gehört aber auch die Tischkultur. Ich habe viele Freunde und Bekannte, die auch an Werktagen eine Blume und eine Kerze auf den Tisch stellen und den einfachen Teller Spaghetti nicht einfach schnell am Tischrand oder vor dem Fernsehen verschlingen.

Manche Köche behaupten, dass die ältere Generation eher dazu fähig ist, das Essen zu geniessen, als jüngere.
Ich kenne viele junge Leute, die selber darauf gekommen sind oder die bei der Erziehung vermittelt bekommen haben, wie wichtig gutes Essen ist. Es gibt leider aber auch junge, die mit vorgefertigtem
Convenience-Essen aufgewachsen sind und keinen Zugang zu gutem Essen haben. Grundsätzlich glaube ich allerdings nicht, dass die Älteren gutes Essen mehr schätzen als die Jungen. Ich kenne auch genug ältere Menschen, die in Sachen Essen festgefahren sind und nicht bereit sind, etwas Neues zu probieren. Viele Junge sind da viel offener und auch abenteuerlustiger.

Dann würden Sie auch den Spruch nicht unterschreiben, der sagt:“Essen ist Sex des Alters“?
(Lacht) Und dann kann man noch fragen: „ Hast du noch Sex oder spielst du schon Golf?“ Solche Vorurteile sind doch Habakuk. „ Liebe geht durch den Magen“ ist das viel schönere Sprichwort. Schauen Sie, wenn ich meiner Frau einen Kaffee und ein Rührei auf einem schön dekorierten Tablett ans Bett bringe, wenn wir freihaben, dann geht die Liebe durch den Magen – und der Tag ist gerettet. Und was dann am Abend passiert, das macht vor dem Alter nicht halt…

Ist Kochen eine Kunst?
Ja, aber vor allem, auch Leidenschaft. Und das Kochen ist eine Fleissarbeit, eine Frage der Einstellung und Bescheidenheit. Ich bin jetzt 65 und empfinde noch immer einen gewissen Hunger, eine Lernbegierde. Das hat mit Passion zu tun. – Kennen Sie eine Frau, die ein bisschen schwanger ist?

Nicht dass ich wüsste,
Sehen Sie, mein Beruf ist genau gleich. Kochen kann man nicht ein wenig. Ich müsste nicht mehr „richtig“ kochen, wenn ich es nicht wollte. Als Chef kann man viele Fertigprodukte oder Halb-convenience-Produkte einkaufen – und diese dann einfach noch zusammenführen und geschickt anrichten. Die Erfahrung aber zeigt, dass Ehrlichkeit und Qualität noch einen Stellenwert haben. Wenn Sie also fragen, ob Kochen eine Kunst ist, dann antworte ich: Es ist die Kunst, das Richtige zu tun.

Und wie stehts mit dem Essen? Ist das für Sie auch eine Kunst?
Ich würde sagen, Essen ist eine jener fabelhaften Beschäftigungen, die wir geschenkt bekommen haben auf dieser Welt. Ob man es als Kunst bezeichnen kann, weiss ich nicht – aber sicher ist es eine gewisse Wissenschaft.

Eine Wissenschaft?
Nur wer sich mit dem Essen beschäftigt, kann das Essen geniessen. Sie lachen mich jetzt wahrscheinlich aus, aber ich stelle in Frage, dass jeder gelernte Koch imstande ist, Kartoffeln zu unterscheiden – ob sie mehlig oder festkochend sind und wie man die jeweiligen Sorten zubereitet. Ich stelle sogar die Frage, dass jeder Koch, der eine eidgenössische Lehre gemacht hat, fähig ist, anständigen Kartoffelsalat, Kartoffelstock oder anständige Pommes frites zuzubereiten. Nur wer das Gute – oder noch besser: das Perfekte – einmal genossen hat, weiss wovon ich spreche.

Können Sie als renomierter Küchenchef überhaupt noch normales Essen geniessen?
Ich kann sehr gut verzichten. Ich muss nicht jeden Tag ein Filet oder einen Steinbutt essen. Ich habe schon lange aufgehört, Kaviar zu konsumieren – obwohl ich Kaviar liebe – weil die Kaviarproduktion bedenklich ist. Ich brauche auch nicht jeden Tag Fleisch oder andere Luxusprodukte. Ich habe Freude an einem guten Blumenkohl. Im Winter liebe ich Rosenkohl – da brauche ich dann gar nichts anderes dazu. Ich kann auch, wenn wir Siedfleisch (Boeuf bouilli) machen, nur ein Rüebli aus dem Topf picken und essen – das ist dann eine Offenbarung. Es gibt ganz einfache Sachen, die so viel Aroma haben und so viel Qualität! In dieser Erkenntnis liegt, so glaube ich, die Kunst des Essens und Geniessens.

Welche Wohlfühltipps können Sie ambitionierten Hobbyessern geben?
Das Wichtigste für mich ist, was die Chinesen zelebrieren: nur so viel essen, dass man danach noch ein ganz klein wenig mehr mag… Das heisst nicht, die Hälfte auf dem Teller lassen, sondern weniger schöpfen. Ausserdem bin ich ein absoluter Fan von Wasser: es ist eines der grössten Güter der Welt, ein Lebenselixier. Ein weiterer ganz wichtiger Wohlfühltipp ist, dass man vernünftig mit Kohlehydraten umgeht. Kohlehydrate – in Verbindung mit Fett und Zucker – brauchen unglaublich viel Kraft, wenn man sie wieder loswerden muss… Vor allem mit zunehmendem Alter vergisst man manchmal, dass der Körper weniger Kalorien braucht. Zu berücksichtigen ist auch, dass das langsame Essen eine grosse Kunst ist. Da sind wir wieder beim Genuss. Wenn man das Essen anschaut, wenn man sich Gedanken dazu macht, wenn man sich auf das Essen freut und beim Verzehren Zeit lässt, dann ist es viel bekömmlicher. Es ist wie beim Bogenschiessen.

Beim Bogenschiessen?
(steht auf) Der Bogenschütze bereitet sich langsam vor. Er hebt den Bogen, visiert das Ziel grob an, zielt genauer, lässt den Pfeil los – und erst wenn dieser im Ziel gelandet ist, beginnt sich der Schütze zu entspannen. Das ist auch das grosse Geheimnis beim Geniessen. Dass man wartet, dass man Geduld hat.

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